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Nachrufe

[17.08.2023] Nachruf auf Prof‘in Dr‘in Isabell Diehm, * 19. April 1957 † 12. Juni 2023

Am 12. Juni 2023 verstarb Isabell Diehm nach schwerer Krankheit im Alter von 66 Jahren in Frankfurt am Main. Die Sektion Interkulturell und International Vergleichende Erziehungswissenschaft (SIIVE) verliert damit ein hochgeschätztes Mitglied und die erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung eine bereits seit den 1990er Jahren durch wichtige Impulse einschlägig mitgestaltende Kollegin. Die Bedeutung von Differenz in institutionalisierten Erziehungs- und Bildungsverhältnissen erziehungswissenschaftlich zu reflektieren, stand im Mittelpunkt ihres Forschungsinteresses. In ihren wegweisenden Arbeiten bearbeitete Isabell Diehm insbesondere das Verhältnis von Erziehung und Migration und nicht weniger ambitioniert Differenzkonstruktionen im Kontext von Kindheit und Geschlecht.

Nach ihrem Studium der Soziologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main war Isabell Diehm von 1982-1988 in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen der vor- und außerschulischen Erziehung tätig und koordinierte von dort die an der Goethe-Universität Frankfurt am Main angesiedelte wissenschaftliche Begleitung dieser Einrichtungen. Im Jahr 1988 kehrte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die Goethe-Universität Frankfurt am Main zurück und wurde im Jahr 1993 mit einer Arbeit zu „Erziehung in der Einwanderungsgesellschaft“ promoviert. Mit einer Schrift zum Thema „Pädagogik und Toleranz – Prämissen und Implikationen Interkultureller Erziehung“ habilitierte sie sich im Jahr 2000. Es folgten eine Vertretungsprofessur (2000-2002) für Sozialpädagogik am Erziehungswissenschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg und die Tätigkeit als Hochschuldozentin am Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Im Jahr 2005 folgte Isabell Diehm einem Ruf auf die Professur für Migrationspädagogik und Kulturarbeit an die Universität Bielefeld. Einen Ruf auf die Professur am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt: Erziehung, Politik und Gesellschaft: Erziehung und Migration an der Goethe-Universität Frankfurt am Main nahm sie 2013 an. Hier lehrte und forschte sie bis zu ihrer Pensionierung im April 2023.

Die Aufgabe der Erziehungswissenschaft sah Isabell Diehm darin, Bildung und Erziehung wissenschaftlich zu beobachten und zu reflektieren und so zu ihrer Aufklärung beizutragen. „Kultur als eine Beobachtungsweise“ zu verstehen, war dabei eine Perspektive, die sich von Anbeginn durch ihr wissenschaftliches Wirken hindurchziehen sollte. Es ging ihr darum, in den Blick zu nehmen, wie Pädagog:innen die Erziehungswirklichkeit beobachten und dabei Unterschiede erzeugen, und gerade nicht um die Beschreibung vermeintlicher Unterschiede an sich. In dem gemeinsam mit Frank-Olaf Radtke publizierten Werk „Erziehung und Migration. Eine Einführung“ (1999) vermochten die Autor:innen Prozesse der Ethnisierung und Kulturalisierung als Reaktionen des deutschen Bildungssystems auf die Migrationstatsache sichtbar zu machen. Früh trug Isabell Diehm damit zu einer Perspektivierung bei, die die Pädagogisierung sozialer Probleme problematisierte und die auf die nicht-intendierten Effekte pädagogischer Programmatiken verwies, durch die eine pädagogische Bearbeitung von Migration auf ‚kulturelle‘ Identitäten reduziert wird und die dabei Gefahr läuft, ‚kulturelle‘ Identitäten und Differenzen zu vereindeutigen und zu essentialisieren. Seit Mitte der 2000er Jahre vertiefte Isabell Diehm dann die bereits in ihrer Dissertationsschrift angelegten kindheitstheoretischen Fragestellungen. Sie interessierte sich demzufolge nicht nur für die pädagogische Erzeugung ethnisch codierter Differenz, sondern gleichsam für die Frage, wie Kinder selbst aktiv an deren Herstellung beteiligt sind. Ausgehend vom Theorem des doing ethnicity/doing race realisierte sie ethnographische Studien mit Kindern in pädagogischen Kontexten und irritierte damit sowohl die romantische Unschuldsannahme wie auch die frühe Prägungsannahme, die pädagogisch und gesellschaftlich etablierte Kindheitsbilder maßgeblich konturieren. Mit ihrer Forschung als Projektleiterin des Teilprojekts B1 „Ethnische Heterogenität und die Genese von Ungleichheit in Bildungseinrichtungen der (frühen) Kindheit“ des DFG-Sonderforschungsbereichs 882 an der Universität Bielefeld (2011-2015) erweiterte sie diese stärker an peer-culture-Studien orientierte Perspektive um die Frage nach der Herstellung von Ungleichheit durch pädagogische Praktiken des Unterscheidens. Zum einen konnte sie die bereits in den vorherigen Jahren begonnene systematische Beschäftigung mit den pädagogischen Organisationen des Elementar- und Primarbereichs mit einem Fokus auf institutionalisierte Praktiken, Prozesse und Routinen in diesen Organisationen – insbesondere der Kindertagesstätte – ethnographisch ausdifferenzieren. Zum anderen bot das Projekt gleichsam die empirische Einsichtnahme in das von Isabell Diehm seit den 2000er Jahren kritisch begleitete Erstarken des Topos ‚frühe Förderung‘ und hier insbesondere in die standardisierenden und normierenden Nebenwirkungen vorschulischer Sprachfördermaßnahmen. Die Frage nach ethnisch codierten Unterscheidungen verfolgte sie dann mit einer Fokussierung auf religiöse Positionierungen angehender Pädagog:innen. Sie leitete das erziehungswissenschaftliche Teilprojekt „Zwischen Distinktion und Diskriminierung. Zur Bedeutung religiöser Positionierungen für Professionalität in Bildungsorganisationen“ innerhalb des LOEWE-Schwerpunktes mit dem Titel „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ (2017-2020). Zuletzt koordinierte Isabell Diehm das noch laufende interdisziplinäre Verbundprojekt „Antisemitismus in pädagogischen Kontexten. Religiös codierte Differenzkonstruktionen in der frühen und mittleren Kindheit (RelcoDiff)“ im Rahmen der BMBF-Förderlinie „Aktuelle Dynamiken und Herausforderungen des Antisemitismus“ (2020-2024) und konnte dabei auch ihre frühen, nach der Bedeutung von Differenzkonstruktionen und Diskriminierung im (frühen) Kindesalter in pädagogischen Einrichtungen fokussierenden Arbeiten mit dem Schwerpunkt auf religiös codierte Differenz weiter ausdifferenzieren.

Isabell Diehm war in ihrer wissenschaftlichen Laufbahn nicht nur Forscherin, sondern nahm ihre Verantwortung als Professorin auch im Hinblick auf die Selbstverwaltung von Wissenschaft und Universität engagiert war. Über Jahre hinweg war sie in der Fachbereichsleitung aktiv: Zunächst als Dekanin der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld (2007-2011) und später am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt (2016-2021) gestaltete sie diese beiden großen erziehungswissenschaftlichen Standorte weitsichtig und mit der ihr eigenen Diplomatie und Konsensorientierung mit. Im Rahmen dieser Ämter gelang es ihr, die Erziehungswissenschaft als Disziplin in ihrer Relevanz nachhaltig zu stärken und neoliberale Anfragen an diese kritisch im Blick zu behalten sowie konstruktiv zu bearbeiten.

Eine besondere Verantwortung als Universitätsprofessorin sah Isabell Diehm immer auch gegenüber Studierenden, Doktorand:innen und wissenschaftlichen Mitabeiter:innen. Bereits in ihrer Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie eine gefragte Lehrende, die wissenschaftlich ambitioniert und menschlich zugewandt Studierende mit einem erziehungswissenschaftlichen Blick auf die Erziehungswirklichkeit vertraut machte und nicht wenige zum Einschlagen wissenschaftlicher Karrieren ermutigen konnte. Es war bei hohen Leistungserwartungen ihre ruhige, anerkennende und wertschätzende Art, durch die sich viele Studierende herausgefordert wie angesprochen fühlten. Sensibel für Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse an Hochschulen, war es ihr ein zentrales Anliegen, gerade auch Menschen für Wissenschaft zu begeistern, die mit dieser zunächst weniger vertraut waren. Für viele wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, Doktorand:innen und Habilitand:innen war Isabell Diehm eine interessierte, inspirierende, fachlich profilierte, großzügig ihre Ideen und Kenntnisse weitergebende und nicht zuletzt Publikations- , Vortrags- und Antragsmöglichkeiten teilende Wegbegleiterin und Wegbereiterin wissenschaftlicher Karrieren.

Mit Isabell Diehm verlieren wir eine Kollegin, die das gesellschaftliche Zeitgeschehen immer äußerst wach begleitet und dessen Bedeutung für erziehungswissenschaftliche Fragestellungen erkannt hat. Sie hat sich über ihre wissenschaftlichen Texte eingemischt und Anfragen an den pädagogischen Alltag formuliert, die stets darauf zielten, diesen zu einem für alle Menschen gerechteren Ort zu machen. Ihre Aufmerksamkeit für Ungleichheit und Diskriminierung hat sie immer auch auf ihr eigenes berufliches Wirkungsfeld bezogen und sich für ein gleichberechtigtes und diskriminierungssensibles Miteinander im wissenschaftlichen Alltag eingesetzt. Sie war stets interessiert, freundlich und humorvoll und gerade auch als Vorgesetzte und wissenschaftliche Begleiterin jemand, die es verstand, Freiheit zur Selbstentfaltung zu ermöglichen und gleichzeitig mit ihrer umfangreichen wissenschaftlichen Expertise zu unterstützen. Sie hinterlässt eine Lücke, die nicht zu füllen ist. Isabell Diehms wissenschaftliche Arbeiten werden im Wissenskanon der Disziplin weiterwirken, als Mensch und als Wissenschaftlerin wird sie für Viele ein Vorbild bleiben.

Melanie Kuhn, Claudia Machold & Patricia Stošić

[27.03.2023] Nachruf auf Prof. Dr. Dietmar Bolscho

Am 11. März 2023 ist Dietmar Bolscho im Alter von 79 Jahren verstorben. Sein Lebensweg hat viele Spuren hinterlassen. Prof. Dr. Katrin Hauenschild und Prof. Dr. Meike Wulfmeyer haben einen Nachruf verfasst.

Nach seinem Studium war Dietmar Bolscho einige Jahre als Lehrer in Schleswig-Holstein tätig und anschließend als wissenschaftlicher Assistent an der PH Kiel angestellt. Im Jahr 1973 wurde er an der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel promoviert. Seine Dissertation „Der sozialwissenschaftliche Bereich des Sachunterrichts in der Primarschule – Entwicklung und Erprobung von Curriculumelementen“ gilt noch heute als eines der herausragenden Werke zur Entwicklung des gesellschaftswissenschaftlichen Sachunterrichts und hat inmitten der Dominanz des naturwissenschaftlich ausgerichteten Sachunterrichts zu Beginn der 1970er Jahre die unabdingbare Integration sozialwissenschaftlicher Perspektiven deutlich gemacht. Auch seine umfangreiche Lehrplanstudie zum Sachunterricht von 1978 war ein wichtiger Beitrag zur Curriculumforschung und zeugt von seinem frühen wissenschaftlichen Engagement für das damals junge Fach Sachunterricht.

1976 bis 1981 war Dietmar Bolscho Professor für Grundschuldidaktik an der Universität Frankfurt und in dieser Zeit auch Vorsitzender des Arbeitskreises Grundschule (ab 1991 Grundschulverband). 1981 nahm er den Ruf an die Universität Hannover an und besetzte dort eine der ersten Sachunterrichtsprofessuren in Deutschland, bis zu seiner Pensionierung 2008. Er ist langjähriges Mitglied der Gesellschaft für die Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) und der DGfE-Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Bereits während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Kiel begann er, sich mit grundlegenden bildungstheoretischen Fragen zu Umwelterziehung, und später Umweltbildung, in einem eigenen Arbeits- und Forschungsschwerpunkt zu profilieren, oftmals in Kooperation mit Kollegen des dort ansässigen „Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften“ (IPN).

Das 1980 von Dietmar Bolscho, Günther Eulefeld und Hansjörg Seybold veröffentlichte Buch „Umwelterziehung. Neue Aufgaben für die Schule“ gilt noch heute als Grundlagenwerk. Internationale Zusammenhänge wurden darüber hinaus in der Untersuchung „Umwelterziehung in Europa“ von 1986 in den Blick genommen. In einem erweiterten Team mit Horst Rode und Jürgen Rost setzte sich die Zusammenarbeit der Kollegen mit den bundesweiten empirischen Querschnittsstudien 1985 und 1990/91 zur „Entwicklung der Praxis schulischer Umwelterziehung in Deutschland“ (1993), die noch heute breit rezipiert werden, fort. In konzeptioneller Hinsicht wurden neue Vermessungen der Umweltbildung vor allem dadurch vorgenommen, dass anders als in Ansätzen mit vorrangig ökologischen Bezügen die Konzeption von Umweltbildung mehrdimensional auf die natürliche, soziale und gebaute Umwelt ausgeweitet wurde. Damit zeigte sich Dietmar Bolscho als einer der Vordenker der sich später entwickelnden Diskussion um Nachhaltige Entwicklung.

Zahlreiche Herausgeberbände und Aufsätze nach der Rio-Konferenz 1992 zeugen schließlich für das große Engagement von Dietmar Bolscho für Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Er gehörte hier zu den ersten, die sich für die Implementation von BNE in der Grundschule und den Sachunterricht einsetzten. Das ist nicht nur theoretisch-konzeptionell, sondern auch in empirischen Projekten zu dokumentieren: u. a. die Forschungsprojekte
„GLOBE“, „Umweltbewusstsein unter dem Leitbild Nachhaltige Entwicklung. Die Bedeutung unterschiedlicher Kontexte von Umwelt für Nachhaltigkeitsbewusstsein“ und "Nachhaltiges Wirtschaften in der Grundschule erfahren" sind hier als Forschungsprojekte zu nennen. Im Rahmen von BNE hat sich Dietmar Bolscho auch bedeutend für eine globale Sichtweise eingesetzt. Sein entwicklungspolitisches Engagement in Bildungskontexten hat er viele Jahre u.
a. in die ehemalige „Arbeitsgruppe Interkulturelle Bildung und Entwicklungspädagogik“ (AG Interpäd) der Leibniz Universität Hannover eingebracht und eine Reihe von Publikationen zu inter- und transkultureller Bildung veröffentlicht.

Dietmar Bolscho hat sich stets kontrovers in die wissenschaftlichen Diskursfelder eingebracht. Er steht für disziplinübergreifende Bezüge, für Offenheit und Flexibilität in inhaltlichen wie methodischen Fragen, für eine konsequente Ausrichtung am Gegenstand, für die kritische Reflexion des Gegebenen und für die konstruktive Betrachtung des Zukünftigen. Zu würdigen ist schließlich sein Engagement für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Eine Reihe von jungen Wissenschaftler:innen, sowohl im Sachunterrichts als auch im Kontext von BNE, hat er auf ihrem Weg zur Weiterqualifikation motiviert, unterstützt und begleitet. Er war uns ein gutes Vorbild: gründlich und gelassen, fordernd und fördernd, streitbar und großzügig. Alles in allem: fürsorglich und freundschaftlich.

[15.03.2022] Nachruf auf Prof'in Dr'in Christine Hunner-Kreisel

Die Sektion Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft (SIIVE) trauert um Christine Hunner-Kreisel. Sie verstarb im Januar 2022 im Alter von 49 Jahren in Bielefeld. Seit dem Jahr 2011 war sie Mitglied der Sektion und in ihrem Wirken als Wissenschaftlerin von Beginn an mit Fragen der international vergleichenden, wie auch der migrationswissenschaftlichen Erziehungswissenschaft insbesondere in den Bereichen Kindheit und Jugend befasst.

Nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin und einem Studium der Erziehungswissenschaften, Ethnologie, Islamwissenschaften und Islamischen Theologie an den Universitäten Heidelberg und Ankara war Christine Hunner-Kreisel Stipendiatin der Volkswagenstiftung im internationalen Forschungsprojekt „Islamische Bildung in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten“ am Seminar für Orientalistik und Islamwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum. Von 2004 bis 2012 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Bielefeld tätig und wurde dort mit der Studie „Erziehung zum ‚wahren Muslim‘: Islamische Bildung in den Institutionen Aserbaidschans“ promoviert. Für ihre Dissertationsschrift wurde ihr 2007 der Preis für hervorragende Dissertationen der Westfälisch-Lippischen Universitätsgesellschaft Bielefeld verliehen. Als Professorin für Transkulturalität und Gender hat sie seit 2012, zunächst als Juniorprofessorin dann als Professorin (W2), an der Schnittstelle von Erziehungswissenschaft und Sozialer Arbeit an der Universität Vechta gelehrt und geforscht.

Christine Hunner-Kreisel gab nicht nur eine Vielzahl an Sammelbänden und Schwerpunktheften heraus, sondern war auch als Editor-in-Chief hauptverantwortlich für die renommierte internationale Fachzeitschrift „Child Indicator Research“ (Springer Dodrecht), war Mitherausgeberin der Buchreihe Kinder – Kindheiten – Kindheitsforschung (Springer Wiesbaden) und war u.a. Board Member der internationalen Child Indicator Society. Ihr großes Engagement in wissenschaftlichen Netzwerken und Kooperationen zeigte sich nicht nur in ihren Mitgliedschaften; sie war neben der SIIVE auch im Rat für Migration und der Landesarbeitsgemeinschaft der Einrichtungen für Frauen und Geschlechterforschung in Niedersachsen aktiv. Gleichzeitig realisierte sie verschiedene (Verbund-)Forschungsprojekte: Gemeinsam mit Kolleg*innen der TU-Berlin sowie der Macquarie University in Sydney gründete und leite sie seit 2015 das multinationale Projekt „Children’s Understanding of Well-Being: Global and local perspectives“, das mit 35 Länderprojekten eine qualitative, global ausgerichtete und an lokale Kontexte anknüpfende Child Well-Being Forschung verwirklicht. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt hat sie von 2016-2019 in einem intersektionalen Zugang zu Transformationen von Haltungen bei Eltern im Einschulungsverlauf ihrer Kinder geforscht. In ihrem aktuell laufenden Verbund-Projekt mit der TU Berlin befasste sie sich zuletzt mit dem Thema „Wohlergehen in sozialräumlichen Kontexten: Intersektionale Perspektiven auf die Erfahrungen von Kindern an nichtschulischen Lernorten (WIKK*I)“.

Christine Hunner-Kreisel war eine herausragende, international bestens vernetzte, leidenschaftliche und äußerst engagierte Wissenschaftler*in, die Fragen von De/Privilegierung, Diskriminierung und sozialen Un/Gerechtigkeiten in einer intersektionalen Perspektive nicht nur wissenschaftlich breit bearbeitet, sondern auch engagiert in zivilgesellschaftliche Diskurse eingebracht hat. Sie war bspw. Mitglied der Bielefelder Initiative Politikwechsel, die sich einer sozial-ökologischen Transformation der Gegenwartsgesellschaft verpflichtet und deren Veranstaltungen, politischen Aktionen und Vernetzungstreffen von ihr mit geprägt wurden. Die Involviertheit gesellschaftlicher Institutionen wie dem Wissenschafts- und Bildungssystem in die machtvolle Reproduktion von Ordnungsverhältnissen hat sie weiter nicht nur zum bloßen Gegenstand ihrer Forschung und Lehre gemacht; die Auseinandersetzung mit der eigenen Involviertheit und Positioniertheit war dabei ein zentrales Element ihres Selbstverständnisses als einer politisch engagierten und ungleichheitsbewussten Wissenschaftlerin. In diesem Sinne zielten ihre Bemühungen um eine reflexive Professionalisierung von Studierenden auch darauf, diese für ungleiche Lebenslagen und Lebensweisen insbesondere von Kindern und Eltern und den damit einhergehenden Herausforderungen für pädagogisches Handeln zu sensibilisieren.

Es waren insbesondere ihre leidenschaftliche und sachkundige Diskussionsbereitschaft, ihre Offenheit und Interessiertheit, ihr Humor und ihre Freundlichkeit, ihre Kollegialität und Solidarität, und nicht zuletzt ihre ausgeprägte Sensibilität auch für die verschleierten Formen der Macht innerhalb und außerhalb des Hochschulsystems, die sie für ihre Kolleg*innen und Doktorand*innen im nationalen und internationalen Kontext zu einer hoch geschätzten akademischen Weggefährtin gemacht haben.

Melanie Kuhn & Claudia Machold

[27.07.2021] Nachruf auf Prof. Dr. Friedrich W. Busch

Die Kommission International Vergleichende Erziehungswissenschaft trauert um Friedrich W. Busch. Er verstarb am 28. Mai 2021 in Rastede im Alter von 82 Jahren. Zeit seines Wirkens als Hochschullehrer und Forscher auf dem Gebiet der Vergleichenden und Allgemeinen Erziehungswissenschaft gehörte er der Kommission Vergleichende Erziehungswissenschaft in der DGfE an; von 1980 bis 1982 war er deren Vorsitzender. Lesen Sie hier den Nachruf von Jürgen Helmchen und Marianne Krüger-Potratz.

[Januar 2021] Prof. Dr. Detlef Glowka – ein Nachruf
Die Kommission International Vergleichende Erziehungswissenschaft trauert um Detlef Glowka. Er war ein langjähriges Mitglied der Kommission Vergleichende Erziehungswissenschaft in der DGfE und von 1974 bis 1978, 1982 bis 1986 und von 1988 bis 1990 gehörte er dem Vorstand der Kommission Vergleichende Erziehungswissenschaft an bzw. war deren Vorsitzender.
Lesen Sie hier den Nachruf von Hans-Georg Kotthoff und Marianne Krüger-Potratz.

[4.12.2020] Nachruf auf Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Oskar Anweiler (29.09.1925 – 31.10.2020)
Am 31.10.2020 ist Oskar Anweiler im Alter von 95 Jahren in Bochum verstorben. Mit ihm ist der letzte Vertreter der unmittelbaren Gründungsgeneration der Vergleichenden Erziehungswissenschaft in Deutschland von uns gegangen. Lesen Sie hier den Nachruf von Wolfgang Hörner.

[13.07.2019] Nachruf auf Dr. Götz Hillig (15.2.1938 – 6.6.2019)
Der Makarenko-Forscher Götz Hillig ist am 6.6.2019 nach längerer Krankheit verstorben. Mit Fug und Recht muss man ihn den bedeutendsten Makarenko-Forscher nennen, nicht nur für Deutschland. Seine Lebensleistung hat in der Erziehungswissenschaft keine Parallele. Seine Beharrlichkeit in der Erforschung eines einzelnen ausländischen Pädagogen durch sein gesamtes berufliches Leben hindurch ist singulär. Lesen Sie hier den Nachruf von Dietmar Waterkamp.

[18.03.2019] Nachruf auf Prof. Dr. Hans Heinrich Reich (1939 – 2019)
Die Sektion Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft trauert um Prof. Dr. em. Hans H. Reich,
der am 19. Februar 2019 verstarb.
Bitte lesen Sie hier den Nachruf von Norbert Wenning.

[27.11.2014, mpa] Nachruf auf Prof. em. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Mitter
Die Sektion Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft trauert um Prof. em. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Mitter, der im Alter von 87 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit verstorben ist.

Wolfgang Mitter war nicht nur Gründungsmitglied der heutigen SIIVE, sondern auch Mitglied der Comparative Education Society in Europe (CESE) sowie des World Council of Comparative Education Societies (WCCES). Alle diese Gesellschaften unterstützte Wolfgang Mitter in mehreren Ämtern und Funktionen tatkräftig; von 1972 bis 1974 war er  Vorsitzender der damaligen Kommission Vergleichende Erziehungswissenschaft in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, von 1981 bis 1985 Präsident der CESE, von 1991 bis 1996 Präsident des WCCES und von 1997 bis 2000 war er Präsident der World Association of Educational Research.
1927 in Trutnov (deutsch Trautenau), heute eine kleine Stadt im Nordosten Tschechiens geboren, durchlebte Wolfgang Mitter eine, wie er selbst sagte, bewegte Kindheit mit vielen Hürden. Das ‚normale‘ Leben war für ihn schon nach den ersten Schuljahren beendet. Durch den Beginn des Zweiten Weltkrieges erlebte er keine ‚richtige Jugendzeit‘, denn mit sechzehn Jahren wurde er Luftwaffenhelfer, mit siebzehneinhalb wurde er zum Arbeitsdienst, der aber im Grunde ein Wehrmachtseinsatz war, einberufen. Wirklich schwere Zeiten, so Mitter, erlebte er in der Kriegsgefangenschaft, während der er 10 Monate in einem Kohlebergwerk in Kladno sehr hart arbeiten musste. Im August 1946 kam er mit seinen Eltern nach Westdeutschland. Dass Wolfgang Mitter seine Kindheit dennoch als schön beschrieb, lag an seinem optimistischen und weltzugewandten Wesen.
Nachdem sich die Familie in einem kleinen Dorf in Hessen, wo er zunächst auf einem Bauernhof arbeitete, niedergelassen hatte, erwarb er 1948 das Abitur und nahm ein Studium der Geschichte, Anglistik und Slawistik sowie Philosophie an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz auf und wechselte später an die Freie Universität Berlin. Während seines Studiums erscheinen seine ersten Berührungen mit der Vergleichenden Erziehungswissenschaft seinerzeit vielleicht als zufällig, doch das Thema hat ihn Zeit seines Lebens nicht mehr losgelassen.
Mit einer Arbeit über die politischen Ideen von Nikolaj Michajlovič Karamzin wurde er in Berlin im Fach Osteuropäischen Geschichte/Slawistik 1954 promoviert, in weiteren Stationen war er Studienrat und später Fachleiter in der Lehrerausbildung an der Universität Kassel, bis er 1964 seine erste ordentliche Professur für Erziehungswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg erhielt. Dort lehrte er Allgemeine und Vergleichende Erziehungswissenschaft bis er 1972 an das Deutsche Internationale Institut für Pädagogische Forschung berufen wurde, dass er von 1978 bis 1981 und von 1987 bis 1995 als Direktor leitete. Zwischen 1975 und 2007 war er zugleich Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, wo er lange über seine Emeritierung hinaus als Lehrer präsent blieb.
Wolfgang Mitter war nicht nur ein ausgesprochener Familienmensch – an unzähligen Tagungen und Konferenzen traf man ihn mit seiner Frau Sylvia – er war auch stets ein engagierter und hilfsbereiter Kollege, der allseits bewundert und geschätzt wurde.
Mitter erwarb sich im Laufe seiner wissenschaftlichen Laufbahn große Verdienste und genoss in der Bundesrepublik wie im Ausland ein hohes Ansehen für seine wichtigen Beiträge zur Erziehungswissenschaft allgemein, vor allem aber zur Internationalen und Vergleichenden Erziehungswissenschaft. Diese benutzte er in den Zeiten des Kalten Krieges als ein Instrument der Entspannung, wenn er unermüdlich Dialogchancen suchte. Auch bildungspolitisch haben Wolfgangs Mitters Arbeiten große Wirkung entfaltet; so zum Beispiel sein Gutachten zum Modell der ‚einphasigen Lehrerausbildung in Niedersachsen am Anfang der 1970er Jahre, für das er später mit einer Ehrendoktorwürde geehrt wurde. Mitter war unermüdlich in seinen zahlreichen wissenschaftlichen Tätigkeiten. Neben Forschung und Lehre wirkte er auch an zahlreichen Fachzeitschriften mit. Zu nennen sind vor allem die Zeitschrift ‚Bildung und Erziehung‘ (Böhlau) sowie das ‚International Review of Education‘ (UNESCO) in denen er als Herausgeber, Gutachter oder Beitragender gewirkt hat. Zur heutigen Forschungsinfrastruktur hat Mitter durch seine Mitarbeit an der Umstrukturierung des DIPF sowie an der Integration der Pädagogischen Zentralbibliothek der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften in der DDR in die heutige Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin sehr viel beigetragen und Anerkennung verdient.
Kennzeichnend für Mitters akademische Arbeit war stets die Bemühung, Theorie und Praxis zusammenzudenken. Wiederholt äußerte er, dass seine Arbeit als Hochschullehrer die Grundlage seiner Forschung war; und aus dieser Praxis heraus entwickelte er viele Forschungsfragen, die sowohl wissenschaftlich anregend und fruchtbar als auch für die Praxis im hohen Maße relevant waren.
Mit dem Tod Wolfgang Mitters verliert die Bundesrepublik einen der renommiertesten Vertreter einer international orientierten und engagierten Erziehungswissenschaft – dafür werden ihn die Kolleginnen und Kollegen stets in dankbarer Erinnerung behalten.

[21.12.2012, np] Dr. Neville Alexander, Professor für Pädagogische Reform an den Universitäten Kapstadt und Stellenbosch in Südafrika, ist am 27. August 2012 an den Folgen eines Krebsleidens verstorben. Wir verlieren mit ihm ein großartiges Vorbild, einen engagierten Forscher und Reformer, einen Wissenschaftler, der Brücken zwischen den Welten schlagen konnte.