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Arbeitsgruppe zur SGB VIII-Reform

Digitale Veranstaltungsreihe „Forum SGB VIII inklusiv“

Während ein großer Teil des neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) am 10. Juni 2021 in Kraft getreten ist, steht die sogenannte Gesamtzuständigkeit – in Abhängigkeit eines noch zu verabschiedenden Bundesgesetzes – erst im Jahr 2028 an. Sowohl die nun fachlich umzusetzenden Bestimmungen als auch die zukünftig zu erwartenden Änderungen bieten gute Gründe, den Prozess weiterhin wissenschaftlich wie fachpolitisch zu begleiten und zu kommentieren.
In Fortsetzung und Neujustierung der Arbeitsgruppe SGB-VIII-Reform in der DGfE-Kommission Sozialpädagogik wurde ein digitales Forum ins Leben gerufen, das die o. g. Notwendigkeit des Austauschs und der Verständigung aufgreift.

Unter dem Label „Forum SGB VIII inklusiv“ sollen unterschiedliche, die Herausforderungen der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe betreffende wissenschaftliche Beiträge diskutiert werden, die von Kolleg:innen an verschiedenen Standorten verantwortet werden und sich an Personen aus Wissenschaft, Studium, Politik, Fachverbandsarbeit, örtlicher Praxis und interessierter Öffentlichkeit richten.
Folgende fünf Fachforen sind im Rahmen der digitalen Veranstaltungsreihe „Forum SGB VIII inklusiv“ der DGfE-Kommission Sozialpädagogik geplant. Die Fachforen finden jeweils freitags digital von 10:00-14:00 Uhr statt. 
Link zur Anmeldung: https://umfragen.uni-siegen.de/index.php/712416?lang=de

1. Fachforum „Inklusive Kinder- und Jugendarbeit – Theoretische Reflexionen und Perspektiven für die Praxis“ (Verantwortlich: Susanne Gerner, Davina Höblich, Gunda Voigts), 21.04.2023

Kinder- und Jugendarbeit ist für viele junge Menschen ein wichtiges „institutionelles Gefüge des Aufwachsens“ (Deutscher Bundestag 2017). Sie bietet vielfältige Bildungsgelegenheiten und realisiert gesellschaftliche Teilhabe. Das SGB VIII gibt vor, dass Kinder- und Jugendarbeit von den Interessen junger Menschen ausgeht. Grundlage dafür sind Partizipation, Freiwilligkeit, Interessen- und Subjektorientierung.
Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) stärkt den Auftrag von Kinder- und Jugendarbeit, auch junge Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Das Kinder- und Jugendhilfestärkungsgesetz (KJSG) betont mit einem neuen Satz in § 11 SGB VIII diesen Anspruch, indem auf die Sicherstellung der „Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Angebote für jungen Menschen mit Behinderungen“ hingewiesen wird. Im 15. Kinder- und Jugendbericht wird betont, dass sich viele Akteur*innen der Kinder- und Jugendarbeit bereits weit vor der Ratifizierung der UN-BRK auf den Weg zu inklusiven Gestaltungsprinzipien gemacht haben. Ziel ist es, junge Menschen mit (zugeschriebenen) Behinderungen zu erreichen und Zugangsbarrieren für möglichst viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus vielfältigen Lebenslagen zu überwinden.
In Fachdiskursen und Praxisentwicklungen zeigt sich, dass die Bezugnahme auf Inklusion, Vielfalt und Teilhabe Fragen nach einer Verhältnisbestimmung unterschiedlicher differenzbezogener Perspektiven und Handlungskonzepte aufwirft: Welche Bedeutung nehmen die Begriffe Inklusion, Vielfalt, Differenz und Diversität in aktuellen Diskursen der Kinder- und Jugendarbeit ein und mit welchen Handlungskonzepten werden sie verbunden? Welche Adressat*innen sind an welcher Stelle wie im Blick? In welcher Weise werden sich komplex und teilweise widersprüchlich darstellende Bedarfslagen oder auch Ausschließungsmechanismen und Zugangsbarrieren reflektiert und konzeptionell aufgegriffen?
Das Forum „Inklusive Kinder- und Jugendarbeit – Theoretische Reflektionen und Perspektiven für die Praxis“ setzt an diesen Fragen an. Ausgehend von theoretischen Perspektiven auf die Zusammenhänge von Differenz, Vielfalt, Inklusion und Teilhabe sowie mit Blick auf empirische Befunde zur Alltagssituation und zum Aufwachsen von jungen Menschen mit Behinderungen wird nach Antworten gesucht. Eingebunden werden Akteur*innen aus bundesweiten Fachorganisationen und Interessenvertretungen der Kinder- und Jugendarbeit mit ihren Praxisperspektiven. Gemeinsam diskutiert werden soll, wie der mit der SGBVIII-Reform neu formulierte inklusive Auftrag umgesetzt werden kann und welchen Beitrag Wissenschaftler*innen leisten könnten, um die Vielfalt an Praxis in ihren Entwicklungsprozessen zu begleiten.
Das Forum richtet sich Kolleg: innen und Studierende aus der Wissenschaft, Praxis und Politik der Kinder- und Jugendarbeit.
Themen des Fachforums werden sein:

  • Interdisziplinäre Perspektiven auf Differenz, Vielfalt, Teilhabe und Ausschließung: einführende Reflexion zu den theoretischen Grundlagen einer inklusiven Kinder- und Jugendarbeit
  • Lebenswelten von Kinder- und Jugendlichen mit Behinderungen
  • Bestandsaufnahme und Zwischenbilanz nach zwei Jahre KJSG aus der Perspektive von Fachorganisationen und Interessenvertretungen
  • Herausforderungen für eine inklusive Kinder- und Jugendarbeit

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2. Fachforum „Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen im Lichte der Gesamtzuständigkeit – Bedarfe zwischen Systemlogik und Selbstartikulation“ (Verantwortlich: Zoë Clark, Benedikt Hopmann, Vinzenz Thalheim), 05.05.2023

Die Hilfen zur Erziehung stehen zusammen mit den Eingliederungshilfen im Zentrum der Debatte um die zukünftige Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe ab 2028. Denn obgleich das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im Wesentlichen am 10.06.2021 in Kraft getreten ist, so bleiben diese von den Änderungen bislang eher (noch) unberührt. Dazu bedarf es näherer Regelungen zur Zusammenführung durch ein Bundesgesetz bis spätestens 2027.
Für die im Rahmen der Gesamtzuständigkeit in ihrer Verfasstheit zur Disposition stehenden Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen wird insbesondere zu klären sein, was zukünftig als Bedarfe anerkannt wird und wer über diese Bedarfskonstruktionen Deutungsmacht erhält.
Für die erzieherischen Hilfen (§§ 27 SGB VIII) gilt bislang, dass ein „erzieherischer Bedarf“ (Smessart 2017, S. 246) gegeben sein muss und dass eine erzieherische Hilfe „geeignet und notwendig ist“ (§ 27 Abs. 1 SGB VIII). Der bedarfsbezogene Leistungsanspruch erfordert im Gegensatz zu den Regelleistungen im KJHG diagnostische Prozedere, konstituiert Barrieren der Inanspruchnahme und kategorisiert Hilfeempfangende in stigmatisierender Weise. Für die Eingliederungshilfen ist wiederum der sozialrechtliche Behinderungsbegriff (§ 2 Abs. 1 SGB IX) leitend, um Leistungen nach § 35a SGB VIII (seelische Behinderung) oder Teil 2 SGB IX (geistige und/oder körperliche Behinderung) erhalten zu können. Dieser Behinderungsbegriff impliziert ebenfalls eine Zweigliedrigkeit, indem einerseits eine Beeinträchtigung diagnostisch festgestellt werden und andererseits eine Einschränkung der Teilhabe vorliegen muss. Anhand dieser zentralen Kategorisierungen, die zudem miteinander verwoben sind, wird der Zugang zu Leistungen und Hilfen generiert. Fraglich ist, wie diese heterogenen Logiken der Bedarfsermittlung vor dem Hintergrund einer Gesamtzuständigkeit der Jugendhilfe modelliert werden.
Diese Bedarfskonstruktionen stehen in einem Spannungsfeld zu Selbst- und Interessenvertretungen, da hier Bedarfe auf Selbstartikulationen beruhen. Denn im Zuge des KJSG wird selbstorganisierten Zusammenschlüssen zur Selbst- und Interessenvertretung neuerdings Beachtung geschenkt (§ 4a SGB VIII). Diese Änderungen sind insofern bemerkenswert, als dass sie das Verhältnis zwischen professionellem und selbstvertretungsbasiertem Bedarfsnarrativ auf den Prüfstand stellen bzw. stellen können. Zugleich ist fraglich, welche Perspektiven im Rahmen der Selbst- und Interessenvertretungen tatsächlich (nicht) zum Ausdruck kommen. Insofern ist von höchster Relevanz, ob und auf welche Weise sich die Zugänge zu Hilfen und Leistungen vollziehen (HzE/Eingliederungshilfen) und wer, wann und auf welche Weise über Bedarfe (nicht) sprechfähig ist und wird.
Dieses Fachforum widmet sich den Herausforderungen, Chancen und Friktionen, die sowohl aktuell als auch zukünftig im Rahmen einer gesamtzuständigen Kinder- und Jugendhilfe ins Blickfeld geraten und sich über Bedarfskonstruktionen materialisieren.

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3. Fachforum „Familien im Alltag – Inklusive ‚Förderung der Erziehung in der Familie‘?“ (Verantwortlich: Stefanie Albus, Bettina Ritter), 12.05.2023

Welche Rolle können die Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 ff. SGB VIII) für eine Jugendhilfe für alle jungen Menschen und ihre Familien einnehmen?
Die Debatten um die zukünftige Gestaltung einer „inklusiven Jugendhilfe“ werden momentan dominiert von der Frage, wie Eingliederungshilfe- und Jugendhilfeleistungen für Kinder und Jugendliche mit behinderungsbedingten Förderbedarfen zusammengebracht werden können. Insbesondere wird hier der Fokus auf die unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen und fachlich-disziplinären Wurzeln von Teilhabeleistungen und Hilfen zur Erziehung gelegt. Dass es sich hierbei um eine Engführung der Perspektive handelt, wird deutlich, wenn die Vielfalt der systemübergreifenden Unterstützungsangebote im Rahmen der Förderung der Erziehung in der Familie nach den §§ 16 ff. SGB VIII betrachtet wird, die auch durch die KJSG-Reform und durch die Erfahrungen während der Corona-Pandemie neue Aufmerksamkeit erfahren.
Nimmt man die Bedarfe und Perspektiven von Familien und ihren Alltag zum Ausgangspunkt, wird schnell deutlich, dass die Herausforderungen und Probleme, mit denen Familien heutzutage konfrontiert sind, nicht allein von der Jugendhilfe bearbeitet werden, sondern verschiedene sozialstaatliche Hilfesysteme Familien bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützen sollen: seien es Pflege-, Gesundheits- oder Teilhabeleistungen für Eltern und Kinder mit (chronischen) Krankheiten oder behinderungsbedingten Bedarfen, Entlastungsangebote für belastete Familien seitens der Krankenkassen oder niedrigschwellige Förderangebote für junge Menschen und ihre Familien. Die Notwendigkeit, Leistungen zusammenzudenken und zu kooperieren, um den vielfältigen Bedarfen von Eltern und Kindern möglichst adressat*innenorientiert zu begegnen, wird im Bereich der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie schon seit vielen Jahren gesehen.
Die Beratungs- und Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen stellen eine Antwort der Jugendhilfe auf die Herausforderungen dar, gesundheits-, armuts- und bildungsbezogene Unterstützungsangebote für Eltern und ihre Kinder zu vereinbaren mit dem Anspruch, möglichst barrierefrei zu sein. Weitere Angebote zur Entlastung reichen von Familienfreizeiten und Familienerholungen bis hin zur Unterstützung bei der Betreuung und Versorgung von jungen Menschen im elterlichen Haushalt, wenn Eltern gesundheitsbedingt oder aus anderen zwingenden Gründen diese Aufgaben nicht selbst übernehmen können. Insbesondere diese niedrigschwellige, am Alltag der Familie orientierte Hilfe, hat im Zuge der KJSG-Reform größere Diskussionen um Finanzierungsverantwortungen, fachliche Ansprüche und Zugangsbarrieren entfacht. Auch Formen begleiteter und unterstützter Elternschaft geraten zunehmend in den Blick und damit ihre Umsetzungsmöglichkeiten im Kontext verschiedener Hilfesysteme.
Mit Blick auf die Unterstützungsangebote der Frühen Hilfen, Formen unterstützter Elternschaft und Alltagsunterstützung nach § 20 SGB VIII werden im Rahmen des Fachforums zentrale Herausforderungen der systemübergreifenden Zusammenarbeit diskutiert. Im Zentrum stehen die Möglichkeiten, allen Familien einen Zugang zu Unterstützungsangeboten zu bieten, die sich am Alltag und den Bedarfen der Familienmitglieder orientiert. Entlang dreier Impulse von Expert*innen aus Wissenschaft, Fachpolitik und Praxis werden wir dies gemeinsam diskutieren. Alle Interessierten sind herzlich willkommen zuzuhören und sich einzubringen!

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4. Fachforum „Vermessung multiprofessioneller Kooperation im inklusionsorientierten Ganztag“ (Verantwortlich: Emanuela Chiapparini, Isabelle Dubois, Eva Marr, Daniela Molnar, Markus Sauerwein, Nina Thieme), 26.05.2023

Neben der Ganztagsschulentwicklung und der Digitalisierung ist mit Inklusion die dritte große Schulreform innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte benannt, entscheidend vorangetrieben durch die am 26. März 2009 in Deutschland in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention, die im Artikel 24 den Auftrag beinhaltet, ein inklusives Bildungs- und Erziehungssystem zu verwirklichen. Über die Quantität der Ganztagschulen, die Schüler:innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen beschulen, liegen unterschiedliche Angaben vor: Während Hofmann-Lun von mehr als zwei Drittel der „allgemeinbildende[n] Schulen mit Ganztagsangebot (ohne Förderschulen)“ (2014, S. 1) ausgeht, sind es laut StEG-Konsortium (2019) je nach Schulform um die 40 Prozent der Schulen, wobei von den Schüler:innen mit zugeschriebenem sonderpädagogischen Förderbedarf nur etwa die Hälfte auch die Ganztagsangebote in Anspruch nimmt.
Sowohl der Ganztagsschulausbau als auch die inklusionsorientierte Gestaltung von Schulen haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich Schule stärker zu einem multiprofessionellen Handlungsfeld weiterentwickelt hat (vgl. Hopmann et al. 2022, i.E.; Chiapparini et al. 2018): Die explizite Aufnahme der Schulsozialarbeit ins SGB VIII (§13a) – die allerdings bereits zuvor an Schulen etabliert war – unterstreicht diesen Wandel, auch wenn Aufgaben der Schulsozialarbeit im Gesetzestext vage bleiben. Neben Regelschullehrkräften und Schulsozialarbeitenden arbeiten seit ca. 20 Jahren weitere sozialpädagogische und auch sonderpädagogische Professionelle berufsgruppenübergreifend zusammen, darüber hinausgehend sind aber auch nicht einschlägig pädagogisch qualifizierte Akteur:innen (als Schulbegleiter:innen oder im Ganztag) in und an Schule involviert, um so dem Anspruch und den Herausforderungen einer ganztägigen, inklusiven Bildung gerecht zu werden. Parallel zur wachsenden Bedeutsamkeit von Kooperation in der ganztagsschulischen, inklusionsorientierten Praxis hat auch das wissenschaftliche Interesse an diesem Gegenstand zugenommen: Entgegen einer im Diskurs auch zu findenden mythenhaften Unterstellung, dass Kooperation per se gut und wünschenswert sei (vgl. hierzu kritisch Rother et al. 2021), wird durch empirische Befunde zunehmend auch der Blick auf das Konflikthafte und Herausfordernde berufsgruppenübergreifender bzw. multiprofessioneller Zusammenarbeit gerichtet (vgl. Marr/Thieme 2022; Chiapparini et al. 2020).
In diesem Zusammenhang spielen die Zuständigkeitsfrage, also die Frage danach, wer sich im Kooperationsgeschehen für was in welcher Situation als zuständig erklärt bzw. erklärt wird und wer nicht, und damit verbundene Erwartungen an die jeweiligen Akteur:innen eine zentrale Rolle. Dies spiegelt sich auf programmatischer Ebene, bspw. in den Qualifikationsrahmen der KMK für Lehrkräfte, Erzieher:innen und Sozialassistent:innen als häufig im Ganztag involvierte Berufs- bzw. Akteur:innengruppen, auch darin, dass sich nur wenige konkrete Hinweise zu den Zuständigkeiten dieser Berufsgruppen im inklusionsorientierten Ganztag finden (vgl. u.a. KMK 2020; 2019; 2017). Hinsichtlich Inklusion werden inklusive Förderung, Diagnostik und Ressourcenorientierung aufgeführt sowie Kooperation gefordert. Außer der Aufforderung, dass Sozialassistent:innen den anderen Berufsgruppen assistieren sollen, finden sich keine klaren Zuordnungen in den Dokumenten. Für Sozialpädagog:innen bestehen keine äquivalenten Qualifikationsrahmen der KMK. Vor diesem Hintergrund ist der Fokus des Forums auf die Fragen nach (Nicht-)Zuständigkeiten der in inklusionsorientierten ganztägigen Settings tätigen Akteur:innen sowie an sie in diesem Kontext adressierte Erwartungen gerichtet.

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5. Fachforum „Inklusive Jugendhilfeplanung“ (Verantwortlich: Gunther Graßhoff, Albrecht Rohrmann), 23.06.2023

In § 80 SGB VIII (Jugendhilfeplanung) wurde mit dem KJSG eine Präzisierung des Planungsauftrages in Abs. 2 Nr. 2 vorgenommen. Dienste und Einrichtung sollen demnach so geplant werden, dass „ein möglichst wirksames, vielfältiges, inklusives und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist“. Dabei geht es nicht nur um die quantitative Verfügbarkeit von Angeboten, sondern auch um deren qualitative Weiterentwicklung als Teil einer entwicklungsfördernden Infrastruktur in den Sozialräumen. Nach Nr. 4 sollen diese so gestaltet sein, dass junge Menschen mit und ohne Behinderungen „gemeinsam unter Berücksichtigung spezifischer Bedarfslagen gefördert werden können“. Von Relevanz für die künftige Jugendhilfeplanung ist auch die Einführung von Verfahrenslots:innen spätestens ab 2024 (§ 10b SGB VIII). Sie sollen Ansprechpartner:innen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und ihre Erziehungsberechtigten sein und halbjährlich über Erfahrungen der Zusammenarbeit mit anderen Rehabilitationsträgern berichten. Ein sowohl für die Eingliederungshilfe als auch für die Hilfen zur Erziehung wichtiger Bezugspunkt für kommunale Planung könnte die regelmäßige Auswertung von Gesamtplanverfahren und Hilfeplanverfahren mit Kindern und Jugendlichen hinsichtlich einzelfallunabhängiger Faktoren für die strukturbezogene Entwicklung und Teilhabe junger Menschen sein. Hierzu ist bedeutsam, dass mit dem KJSG beschlossen wurde, die Jugendämter in das Gesamtplanverfahren der Eingliederungshilfe mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen nach § 117 Abs. 6 SGB IX einzubeziehen.
Da die Jugendhilfeplanung eine Pflichtaufgabe der Jugendhilfeträger ist, sollte sie als fester Bestandteil der kommunalen Planung in den Kreisen und kreisfreien Städten und den weiteren Kommunen, die ein eigenes Jugendamt haben, vorhanden sein. Allerdings wird der Planungsauftrag gegenwärtig sehr unterschiedlich wahrgenommen (Daigler 2018, S. 5ff.). Merchel (2016, S. 10 ff.) zeichnet ein widersprüchliches Bild der Jugendhilfeplanung zwischen Veralltäglichung und notwendigen konzeptionellen und politischen Gestaltungsaufgaben. Der AFET stellt dazu ebenfalls kritisch fest, dass die Jugendhilfeplanung in der Praxis auf die „selbstverständliche Verankerung und die Erfüllung der hohen Anforderungen des § 80 SGB VIII in der Praxis kommunaler Kinder- und Jugendhilfe nicht verweisen“ (AFET 2019) kann. Der AFET fordert u.a. ein klares Profil der Jugendhilfeplanung im Kontext einer integrierten Gesamtplanung, in der die „Planungsverantwortlichen ihre kommunalen Planungsprozesse miteinander abstimmen und aufeinander aufbauen“ (ebd.). Denn obgleich „in der Logik der Jugendhilfeplanung [...] Bewertung und Aufzeigen von Veränderungsperspektiven integrale Bestandteile [sind]“ (Merchel 2018, S. 41), so erscheint die Jugendhilfeplanung nicht selten eher sozialtechnologisch verkürzt ausgerichtet und folgt „kommunal-administrative[n] Strategie[n] der neuen Steuerung“ (Kessl/Reutlinger 2018, S. 1596). Die Umsetzung der neuen Anforderungen an die Jugendhilfeplanung trifft auf eine kommunale Landschaft, in der das Thema der ‚Inklusion‘ in sehr unterschiedlicher Weise aufgegriffen wird. Zahlreiche Kommunen haben den Impuls der UN- Behindertenrechtskonvention aufgegriffen und Planungsprozesse zur Verbesserung der Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen initiiert. Wenngleich die Entwicklung einer inklusiven Infrastruktur auf kommunaler Ebene eine Querschnittaufgabe darstellt, bleiben die unterschiedlichen Fachplanungen jedoch häufig unverbunden.
In dem Forum sollen Ansätze der Jugendhilfeplanung und der Planung eines inklusiven Gemeinwesens zur Diskussion gestellt werden, um die Perspektiven für eine kommunale Planung zur Förderung der Verbesserung der Lebensbedingungen aller jungen Menschen, ihrer Familien sowie eines gemeinsamen Aufwachsens aller Kinder und Jugendlichen einschätzen zu können.

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